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Ablehnung im Namen Gottes?!

Vergangenen November bin ich aus meinem Orden ausgetreten.
Als Übergangszeit habe ich eine Woche in einem dominikanischen Konvent im Nordwesten Frankreichs ausgesucht. Ich kannte zwei der Brüder  dort von vorherigen Treffen und empfand es als eine gute Idee, nicht direkt vom Kloster in die nächste Phase meines Lebens zu springen, sondern mir eine Woche zu geben, in der ich mich an die neue Kleidung gewöhnen kann ;)

Ich wurde in dem Konvent warm und mit offenen Armen empfangen. Der Ort war gut gepflegt und hatte eine wunderbare Schlichtheit an sich. Es war für mich spannend zu sehen, dass recht viele jüngere Priester anzutreffen waren. Normalerweise kenne ich christliche Konvente und Klöster lediglich mit älteren Bewohnern. Jeden Tag wurde mir nach dem Mittagessen ein Priester zum Spaziergang zugeteilt. Ich bin generell  sehr an den unterschiedlichen Religionen und Traditionen interessiert und meine unzähligen Fragen wurden mit viel Geduld beantwortet. Ich fühlte ich mich anfangs recht wohl. Lediglich der konstante Druck der Brüder zur Konversion war mir nicht ganz behaglich. Aber da ich das von vorherigen Begegnungen mit anderen religiösen Personen kenne, konnte ich das gut ab.

 

Am dritten Tag gab mir ein Bruder ein wenig Lektüre zum Studium. Eines der Bücher war ein Kompendium des Katechismus. Es war interessant, mich da durchzulesen. Aber ich hatte mehr und mehr das Gefühl, dass dieses Buch die Botschaft Jesu (zumindest wie ich sie verstehe) nicht wiedergibt.

Der schmerzhafte Teil kam dann für mich in dem Kapitel über die Kommunion. Vor dem Erhalt der Kommunion ist man dazu angehalten, seine Sünden zu beichten. Und als Sünde gilt Homosexualität. Nun, ich bin schwul. Und es brauchte lange für mich, dies zu akzeptieren und mich so lieben zu können, wie ich bin. Ich wollte wissen, wie die Brüder des Konvents zu dem Thema stehen und am nächsten Tag fragte ich den Priester, der mir zum Spaziergang zugewiesen wurde, danach. Er erklärte mir, dass nicht Homosexualität an sich Sünde ist, sondern lediglich die Ausführung. Er nutzte das Beispiel des Tötens. Nicht der Gedanke an sich ist Sünde, lediglich der Akt. Und als Kirsche auf der Torte wurde gesagt, dass es nicht Gott war, der Homosexualität geschaffen hat, sondern der Teufel. Ausschluss aus der Kommunion und Vergleich meiner Selbst mit Töten, geschaffen vom Teufel… das war schmerzhaft. Das hat meiner Ansicht nach nicht viel zu tun mit „Liebe deinen Nächsten, wie dich Selbst“.

 

Die nächsten Tage versuchte ich, das Thema nicht groß anzusprechen. Ich verbrachte weniger Zeit in der Kirche, ging lediglich zu den Gottesdiensten, die obligatorisch waren und blieb aus der Messfeier raus. Es war zu schmerzhaft. Ich nutzte die Morgenstunden daher für meine eigene Meditation.
Ich wollte nicht wegrennen, sondern mich mit diesem Schmerz beschäftigen. Mir war klar, dass ich jederzeit gehen könnte. Aber andere können das nicht. Da sind viele junge Menschen, die auf Familiendruck zur Messe gebracht werden, die Zuhause aufwachsen mit dem Glauben, dass Homosexualität Sünde sei. Mir ist leider bewusst, dass es selbst heute noch „Schwulenheiler“ gibt. Dass es noch viele Queere Menschen gibt, die sich aus einem gesellschaftlich entwickelten Selbsthass heraus umbringen. Ich wollte für diese Menschen bleiben.

 

"Mir ist klar, wie verdorben es war, falsche Schuld in einem unschuldigen Kind einzuflößen, was zu einem verzerrten Bild des Lebens, Gott, und des Kindes Selbst führt; und dann wenig, wenn überhaupt etwas Gefühl für persönlichen Wert bleibt."  -Mary Griffith

 

Mit diesen äußeren, mittelalterlichen Vorstellungen konfrontiert zu werden zeigte mir, dass noch viel Schmerz in mir ist, der bislang nicht verarbeitet worden war. Das Gefühl der Wertlosigkeit, des nicht akzeptiert Werdens. Der Ansatz, den ich durch meinen Kontakt mit dem Buddhismus gelernt habe, beginnt genau hier: Hinschauen, was da in mir vorgeht. Und dort gab es Vieles. Ich hatte Wut, Verletzung, Aufbegehren und Trauer in mir. Viele Gefühle, die verurteilten. Aber ich habe mir den Vorsatz gesetzt, mit Liebe zu agieren.

 

promise me:
Even as they
strike you down
with a mountain of hatred and violence;
even as they step on you and crush you
like a worm,
even as they dismember and disembowel you,
remember brother, remember:
man is not our enemy.

The only thing worthy of you is compassion –
invincible, limitless, unconditional.
Hatred will never let you face
the beast in man.
 
-TNH

 

Ich habe mir vorgenommen, die Brüder zu verstehen. Es ist nicht leicht, Dinge zu hinterfragen, wenn die Gemeinschaft bestimmte Töne setzt. Mit dem Hinterfragen des Katechismus würde man in gewisser Weise seinen eigenen „Glauben“ hinterfragen, da doch, wie mir erklärt wurde, die Kirche das Wort Jesu und somit das Wort Gottes symbolisiert. Zu hinterfragen wäre gleichzusetzen mit dem Abfallen vom Weg, mit dem Teufel, der die eigenen Gedanken vergiftet. Dies alles im Zusammenhang mit den Brüdern zu sehen half mir, ein offenes Herz für sie zu bewahren und ihnen bis zum Schluss mit Dankbarkeit und dem Wunsch zu verstehen zu begegnen. Ich konnte verstehen, dass die Brüder keine bösen Absichten haben. Aus ihrer Sicht heraus wollen Sie helfen. Aber es war eine so widersprüchliche Welt, in welcher sichtlich intelligente und studierte Menschen in solch mittelalterliche Ansichten verfallen.

 

Den darauffolgenden Monat kam ich nach Deutschland, zu Dirk. Der Schmerz, der mir noch so nah war, hielt mich für dieses Mal aus der Kirche fern. In Gesprächen mit ihm erzählte ich ihm über die Ereignisse. Er sagte mir Folgendes: „Wenn die am Ende am Himmelstor klopfen, wird der Herr ihnen die Bibel um die Ohren hauen und sie wieder runter schicken, bis sie es gelernt haben.“. Es tat mir gut, mit ihm zu sprechen. Seiner Ansicht nach nehmen „rechtsradikale“ Gruppen sowohl in der Kirche als auch in unserer Gesellschaft zu, da den Menschen der Glaube abhanden gekommen ist. Auf der sehnsüchtigen Suche verliert man sich dann schnell in Extreme.
  

                   Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe,
                   deine Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit  -Schrei nach Liebe, Die Ärzte

Die Ideen und Ideologien, welche dieses Konvent und leider viele andere verbreiten, sind altertümlich, überholt, gefährlich. Die Kraft von Ideen ist stark, vor allem in einem solchem kollektiven Umfeld. Aber es ist nicht die einzige Idee. Es gibt selbst in der katholischen Kirche unterschiedliche Meinungen. Und wir selbst können immer hinterfragen, ob die Predigt von der Kanzel gerade vereinend oder spaltend und hetzend ist. Wir haben die Pflicht, zu hinterfragen, was uns erzählt wird.

Ich hoffe inständig, dass mehr und mehr Leute beginnen, die eigenen Ansichten und Meinungen in Frage zu stellen. Es ist einfach, den Finger auf ein einzelnes Konvent zu richten und zu verurteilen. Aber ganz im Sinne Jesu: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie. (Joh 8:7). In welchen Ansichten habe ich selbst einen rigiden Geist? Welche meiner Ansichten könnten spaltend statt vereinend sein? Wobei gehe ich von Menschen weg, statt auf sie zu? Und wann weiß ich es besser?

Ich glaube, dass Gott den Menschen mit all den Facetten geschaffen hat, die wir sehen und nicht sehen können.
Ich glaube, dass Gott all seine Schöpfung liebt.
Ich glaube, dass es das höchste Gut ist, anderen mit Liebe, Mitgefühl und Offenheit zu begegnen.
Ich glaube, dass wir Menschen schön und würdig sind, egal wie unsere Hautfarbe, Sexualität, Geschlecht, usw. geschaffen sind.
Ich glaube, dass es Zeit ist, dass die Kirche sich entschuldigt, für den Schmerz, den sie seit viel zu langer Zeit verschiedenen Menschengruppen zufügt.

 

„Bevor ihr zu Hause oder am Platz der Anbetung Amen widerhallen lasst, denkt und erinnert euch. Ein Kind hört zu.“   -Mary Griffith

Bruder Thientri