Blog 09
Über Krankheit und Heilung
Es gibt Menschen, die niemals krank waren oder werden und ein hohes Alter erreichen. Manchen davon fällt es schwer, Krankheit bei anderen angemessen zu bewerten. Sieht der Kranke trotz Krankheit gesund aus, wird die richtige Bewertung noch schwieriger. Wieviel innere Haltung es für Kranke erfordert, den Gesunden zu spielen, erschließt sich gesunden Menschen nicht. Gesunde denken schneller, so wie der aussieht, kann der nicht ernsthaft krank sein.
Lourdes ist der Wallfahrtsort der Heilung. Wirklich unzählige Tafeln in den Kirchen von Lourdes verweisen auf erfolgte Heilungen, nach Prüfung durch die Kirche als Wunderheilung anerkannt wurden 70. Jährlich besuchen 5 Millionen Menschen aus über 140 Ländern Lourdes, also weit mehr als 10.000 Menschen jeden Tag aufs Neue. Ein sehr großer Teil ist krank und betet um Hilfe und Heilung, oft auch Angehörige, wenn Kranke nicht mehr selbst kommen können.
Die Hoffnung auf Heilung darf niemand den Menschen nehmen, ob Kranken oder Angehörigen.
Quasi ganz unbemerkt findet eine zweite Heilung statt, die des menschlichen Miteinanders Gesunder und Kranker. In der grossen hallenförmigen Kirche St. Bernadette ist Platz für einige Hundert Schwerstkranke, die dort auf Trageliegen oder Rollstühlen neben- und hintereinander stehen, viele der Kranken sind nicht ansprechbar. Jeder Rollstuhl wird von 2 bis 3 gesunden jungen Leute betreut. Sie schieben die Rollis, besorgen Getränke und Essen, scherzen untereinander und mit der betreuten Person, wann immer diese wach oder ansprechbar ist. Alle singen zusammen, für diese Zeit sind alle in der Kirche ganz nahe beieinander, ich nenne es die barrierefreie Stunde.
Die Kranken in Lourdes werden so ein fester Bestandteil der emotionalen Ladung dieses besonderen Ortes, sie machen diesen Ort so ganz einmalig.
Wenn es uns gelingt, einen Teil dieser Normalität im Umgang mit kranken Menschen in unseren Alltag zu holen, vermeiden wir unzähliges Leid.
Meine persönliche Erfahrung ist, dass Krankheit auch die Sinne schärfen kann. Sie kann in einigen Fällen enorme Kräfte freisetzen, trotz Krankheit Großes zu leisten.
Wenn du als Kind Grenzerfahrungen zu Krankheit und Tod erleben musstest und weiterleben durftest, kann dies einen Lebenswillen freisetzen, welcher sprichwörtlich Berge versetzen kann.
Immer wenn das geschieht, ist es auch der Wille Gottes und es ist wichtig, dass wir davon Betroffenen Zeugnis davon ablegen. So wird die Quelle unserer Stärke verstanden und dies kann kranken Menschen Mut machen und Hoffnung schenken. Maktub. Haben wir Vertrauen und schenken wir Achtsamkeit und Nähe unseren Nächsten.
Wenn wir das nächste Mal zur Begrüßung fragen, "Wie geht es dir?", sollten wir wirklich an der Antwort interessiert sein, oder diese Antwort wenigstens zulassen. Bleibt bitte alle gesund und erfreut euch des Lebens.
Denn das Leben war niemals nur als Kampf gedacht, eine Erkenntnis, für die ich Jahrzehnte benötigt habe und an die ich mich auch heute immer wieder selbst erinnere.
Norbert Wupperfeld